Wir sind die Krise
Einführungsvortrag über die wertkritische Krisentheorie (27.3.2012, Veto Erfurt)
von Christian Höner
Über Bedingungen und Bedeutung krisentheoretischer Überlegungen
1991, ein Jahr nachdem der Kapitalismus aus dem Kampf der Systeme als Sieger hervor- und der real-existierende Sozialismus unterging, erschien im Eichborn-Verlag ein Buch mit dem Titel „Der Kollaps der Modernisierung“. Darin wartete dessen Autor Robert Kurz mit der steilen und damals anachronistisch-wirkenden These auf, der Zusammenbruch des Sozialismus sei nur das Wetterleuchten einer viel grundlegenderen Krise, nämlich einer genuinen Krise der Weltökonomie bzw. des warenproduzierenden Systems.
Grundlage dieser Einschätzung war ein neuer theoretischer Zugang, mit dem versucht werden sollte, die stumpf-gewordenen Paradigmen traditioneller Kapitalismuskritik zu überwinden. Nicht mehr die Klassen- und Verteilungsfrage der alten Arbeiterbewegung wurde in das Zentrum der Analyse und Kritik gestellt, die im Kern nur auf eine gerechte Verteilung des produzierten Mehrwerts abzielte; vielmehr fokussierte sich die Kritik nun grundsätzlicher auf die gesellschaftliche Produktions- und Vermittlungsformen des Werts und der abstrakten Arbeit. Vor diesem theoretischen Hintergrund erschien der Sozialismus nicht als die große Systemalternative, sondern vielmehr als eine Alternation, eine staatskapitalistische Spielart des warenproduzierenden Gesamtsystems.
Wurde die Wertkritik in den folgenden Jahrzehnten innerhalb der Linken in bestimmten Versatzstücken aufgegriffen, diskutiert und kritisiert, so blieb doch deren These von einer finalen Krise des Systems der obskuranteste und seltsamste Aspekt des wertkritischen Theorieuniversums, mit dem sich kaum jemand anzufreunden vermochte. Die Palette der Abwehr einer Fundamentalkrise reichte dabei vom bloßen Abschneiden der Krisentheorie vom restlichen, „ernstzunehmenden“ Theoriebestand der Wertkritik bis hin zur Denunzierung als bloßes Apokalypse- und Weltuntergangsgequatsche. Selbst der Wertkritik nahestehende Positionen konnten oder wollten mit der Krisentheorie nichts anfangen und stimmten in den Chor der Finale-Krise-Leugner ein. Unter dem Titel „Neues vom Weltuntergang“1 höhnte im Jahr 2000 Michael Heinrich2 inhaltlich noch am anspruchsvollsten gegen die wertkritische Krisentheorie. Eine Fundamentalkrise ließe sich im Anschluss an Marx nicht konsistent begründen, so Heinrichs Kritik. Die Rede von Krise mache nur dann Sinn, wenn der Kapitalismus jenseits seiner historischen Daseinsweise als permanente Krise begriffen werde (ähnliches äußerte auch der antideutsche Theoretiker Stefan Grigat). Kapitalismus bedeutet demnach immer Krise, weil die allumfassende Konkurrenz stets Gewinner und Verlierer produziert. Ständig spuckt der Markt nach kapitalistischen Kriterien unproduktive und überflüssige Marktteilnehmer aus, sei es nun der Brötchenbäcker von nebenan, ein Autokonzern oder eine ganze Nationalökonomie. Solche Überflüssigmachungen können durchaus zu Krisen kulminieren, allein sie gefährden das Gesamtsystem nicht. Der Grund hierfür ist, dass Krisen nicht nur den Untergang bestimmter Marktteilnehmer hervorrufen, sondern gleichzeitig die Voraussetzung für einen neuen Akkumulationszyklus des Kapitals schaffen. Der bürgerliche Nationalökonom Josef Schumpeter nannte diese Potential des Kapitals, durch Krisen wie Phönix aus der Asche auferstehen zu können, schöpferische Zerstörung. Sah Schumpeter darin jedoch durchaus eine Dynamik angelegt, die das Überleben des Kapitalismus gefährdet, so erblicken viele Linke – ähnlich wie Heinrich - im ewig gleichen Krisenprozess des Kapitals auch dessen Jungbrunnen.
Die Überzeugung, dass der Kapitalismus ums Verrecken nicht an sich selbst scheitern kann, dürfte wohl die Ohnmachtsgefühle eines Großteils der Linken spiegeln, welche sich aus der realen historischen Erfahrung speisen, dass das kapitalistische System trotz schwerster Krisen fortbesteht.3 Über diese historische Erfahrung hinaus stand in den 1990er Jahren einer ernsthaften Befassung mit der fundamentalen Krisentheorie der Wertkritik die empirischen Lebenswirklichkeiten vieler Linker hierzulande im Wege, die geprägt war von der kasinokapitalistischen Boomphase – auch wenn sich es dabei freilich um eine Binnenperspektive aus den Gewinnerzonen des Weltmarktes handelte. Aus dieser Perspektive jedenfalls konnten die diversen Staatsbankrotte und geplatzten Finanzblasen – auch wenn die Krisen-Einschläge zeitlich dichter und topografisch näher kamen – noch unter dem Stichwort »Bereinigungskrisen« abgetan werden. Doch mit dem Platzen der US-amerikanischen Immobilienblase im Jahre 2007 ändert sich das Wahrnehmungsszenario. Im Staccato wechselten nun die Krisenszenarien und verdichteten sich zu einem Zustand permanenter Krise: An die Immobilienkrise schloss sich nahtlos die Finanzmarktkrise 2008 an, die sich in eine Staatsschulden-Krise transformierte und sich nun am Horizont als Geldkrise andeutet. Wenn bereits die Spatzen des bürgerlichen Journalismus von Tagesschau bis FAZ die Systemkrise von den Dächern pfeifen, dann scheint auch in der Linken das bisher Undenkbare einer hausgemachten Systemkrise zumindest als diskutable Möglichkeit.
Dabei ist die zu diskutierende Frage, wie das aktuelle Krisenszenario theoretisch zu bestimmen sei, keine bloß akademische. Auch geht es nicht um eine bloß haarspalterische Besserwisserei linker Theorieteiche (auch wenn Theorieakteure diesen Eindruck mitunter vermitteln). Die Frage der Kriseninterpretation berührt nämlich nicht nur das grundlegende Verständnis des Kapitalismus als solchen, sondern auch die Frage, was Emanzipation heute noch heißen kann und in welchem programmatischen Horizont sie zu verorten ist. So sieht das Gros der Bewegungslinken als auch der Protestbewegungen Emanzipationsspielräume innerhalb des kapitalistischen Formzusammenhangs gegeben, auf die sich die Anstrengungen konzentrieren. Wenn Occupy, Attac und Sahra Wagenknecht für eine Regulierung der Finanzmärkte und eine gerechte Verteilung des abstrakten Reichtums eintreten, dann setzt dies natürlich voraus, dass die Gesellschaftsmaschine, die den abstrakten Reichtum produziert, aus sich heraus munter weiterläuft. Die reale Vitalität des Kapitals ist die notwendige Voraussetzung aller sozialdemokratischer Regulations- und Emanzipationsvorstellungen. Solange das Kapital unbeirrt vor sich hin akkumuliert, wird es eine radikale Kapitalismuskritik schwer haben, wenn sie mit dem Kapitalismus brechen will und hierfür bloß moralische Argumente und lebensphilosophische Haltungen liefern kann. Sollte sich hingegen die wertkritische Behauptung bewahrheiten, dass das Kapital an den eigenen Widersprüchen zugrunde geht, dann wäre die Frage einer Emanzipationsperspektive nicht mehr innerhalb des kapitalistischen Formzusammenhangs aufweisbar, sondern nur noch jenseits dieser Form.
Um einem in diesen Zusammenhang häufig auftauchenden Missverständnis gleich entgegenzutreten: Die Behauptung, das Kapitalverhältnis ginge an sich selbst zugrunde, impliziert nicht, dass sich die Sache von selbst erledigt. Die Selbstzerstörung des Kapitals ist nämlich nicht identisch mit Emanzipation. Da die gesellschaftliche Vermittlung der stofflichen Reproduktion der Individuen sich allein in den Darstellungsformen des Kapitals (Arbeit, Ware, Geld) realisiert, droht mit dem Untergang des Kapital eben auch diese Reproduktion unterzugehen. Das Problem dabei ist, dass es derzeit keine anderen Formen gesellschaftlicher Vermittlung gibt, die jenseits von Ware-Geld-Beziehungen in der Lage wären, die stoffliche Reproduktion zu meistern. Sie zu entwerfen, wäre – neben den Abwehrkämpfen mit den irre-werdenden Geistern des alten Systems - die große Herausforderung einer Emanzipationsbewegung.
Ich muss es bei diesen Andeutungen belassen, um die Notwendigkeit zu unterstreichen, dass eine theoretische Auseinandersetzung um die Bestimmung von Kapitalismus und Krise notwendig und konsequenzenreich ist. Im Folgenden werde ich versuchen, die wertkritische Krisentheorie grob zu skizzieren.
Grundlage dieser Einschätzung war ein neuer theoretischer Zugang, mit dem versucht werden sollte, die stumpf-gewordenen Paradigmen traditioneller Kapitalismuskritik zu überwinden. Nicht mehr die Klassen- und Verteilungsfrage der alten Arbeiterbewegung wurde in das Zentrum der Analyse und Kritik gestellt, die im Kern nur auf eine gerechte Verteilung des produzierten Mehrwerts abzielte; vielmehr fokussierte sich die Kritik nun grundsätzlicher auf die gesellschaftliche Produktions- und Vermittlungsformen des Werts und der abstrakten Arbeit. Vor diesem theoretischen Hintergrund erschien der Sozialismus nicht als die große Systemalternative, sondern vielmehr als eine Alternation, eine staatskapitalistische Spielart des warenproduzierenden Gesamtsystems.
Wurde die Wertkritik in den folgenden Jahrzehnten innerhalb der Linken in bestimmten Versatzstücken aufgegriffen, diskutiert und kritisiert, so blieb doch deren These von einer finalen Krise des Systems der obskuranteste und seltsamste Aspekt des wertkritischen Theorieuniversums, mit dem sich kaum jemand anzufreunden vermochte. Die Palette der Abwehr einer Fundamentalkrise reichte dabei vom bloßen Abschneiden der Krisentheorie vom restlichen, „ernstzunehmenden“ Theoriebestand der Wertkritik bis hin zur Denunzierung als bloßes Apokalypse- und Weltuntergangsgequatsche. Selbst der Wertkritik nahestehende Positionen konnten oder wollten mit der Krisentheorie nichts anfangen und stimmten in den Chor der Finale-Krise-Leugner ein. Unter dem Titel „Neues vom Weltuntergang“1 höhnte im Jahr 2000 Michael Heinrich2 inhaltlich noch am anspruchsvollsten gegen die wertkritische Krisentheorie. Eine Fundamentalkrise ließe sich im Anschluss an Marx nicht konsistent begründen, so Heinrichs Kritik. Die Rede von Krise mache nur dann Sinn, wenn der Kapitalismus jenseits seiner historischen Daseinsweise als permanente Krise begriffen werde (ähnliches äußerte auch der antideutsche Theoretiker Stefan Grigat). Kapitalismus bedeutet demnach immer Krise, weil die allumfassende Konkurrenz stets Gewinner und Verlierer produziert. Ständig spuckt der Markt nach kapitalistischen Kriterien unproduktive und überflüssige Marktteilnehmer aus, sei es nun der Brötchenbäcker von nebenan, ein Autokonzern oder eine ganze Nationalökonomie. Solche Überflüssigmachungen können durchaus zu Krisen kulminieren, allein sie gefährden das Gesamtsystem nicht. Der Grund hierfür ist, dass Krisen nicht nur den Untergang bestimmter Marktteilnehmer hervorrufen, sondern gleichzeitig die Voraussetzung für einen neuen Akkumulationszyklus des Kapitals schaffen. Der bürgerliche Nationalökonom Josef Schumpeter nannte diese Potential des Kapitals, durch Krisen wie Phönix aus der Asche auferstehen zu können, schöpferische Zerstörung. Sah Schumpeter darin jedoch durchaus eine Dynamik angelegt, die das Überleben des Kapitalismus gefährdet, so erblicken viele Linke – ähnlich wie Heinrich - im ewig gleichen Krisenprozess des Kapitals auch dessen Jungbrunnen.
Die Überzeugung, dass der Kapitalismus ums Verrecken nicht an sich selbst scheitern kann, dürfte wohl die Ohnmachtsgefühle eines Großteils der Linken spiegeln, welche sich aus der realen historischen Erfahrung speisen, dass das kapitalistische System trotz schwerster Krisen fortbesteht.3 Über diese historische Erfahrung hinaus stand in den 1990er Jahren einer ernsthaften Befassung mit der fundamentalen Krisentheorie der Wertkritik die empirischen Lebenswirklichkeiten vieler Linker hierzulande im Wege, die geprägt war von der kasinokapitalistischen Boomphase – auch wenn sich es dabei freilich um eine Binnenperspektive aus den Gewinnerzonen des Weltmarktes handelte. Aus dieser Perspektive jedenfalls konnten die diversen Staatsbankrotte und geplatzten Finanzblasen – auch wenn die Krisen-Einschläge zeitlich dichter und topografisch näher kamen – noch unter dem Stichwort »Bereinigungskrisen« abgetan werden. Doch mit dem Platzen der US-amerikanischen Immobilienblase im Jahre 2007 ändert sich das Wahrnehmungsszenario. Im Staccato wechselten nun die Krisenszenarien und verdichteten sich zu einem Zustand permanenter Krise: An die Immobilienkrise schloss sich nahtlos die Finanzmarktkrise 2008 an, die sich in eine Staatsschulden-Krise transformierte und sich nun am Horizont als Geldkrise andeutet. Wenn bereits die Spatzen des bürgerlichen Journalismus von Tagesschau bis FAZ die Systemkrise von den Dächern pfeifen, dann scheint auch in der Linken das bisher Undenkbare einer hausgemachten Systemkrise zumindest als diskutable Möglichkeit.
Dabei ist die zu diskutierende Frage, wie das aktuelle Krisenszenario theoretisch zu bestimmen sei, keine bloß akademische. Auch geht es nicht um eine bloß haarspalterische Besserwisserei linker Theorieteiche (auch wenn Theorieakteure diesen Eindruck mitunter vermitteln). Die Frage der Kriseninterpretation berührt nämlich nicht nur das grundlegende Verständnis des Kapitalismus als solchen, sondern auch die Frage, was Emanzipation heute noch heißen kann und in welchem programmatischen Horizont sie zu verorten ist. So sieht das Gros der Bewegungslinken als auch der Protestbewegungen Emanzipationsspielräume innerhalb des kapitalistischen Formzusammenhangs gegeben, auf die sich die Anstrengungen konzentrieren. Wenn Occupy, Attac und Sahra Wagenknecht für eine Regulierung der Finanzmärkte und eine gerechte Verteilung des abstrakten Reichtums eintreten, dann setzt dies natürlich voraus, dass die Gesellschaftsmaschine, die den abstrakten Reichtum produziert, aus sich heraus munter weiterläuft. Die reale Vitalität des Kapitals ist die notwendige Voraussetzung aller sozialdemokratischer Regulations- und Emanzipationsvorstellungen. Solange das Kapital unbeirrt vor sich hin akkumuliert, wird es eine radikale Kapitalismuskritik schwer haben, wenn sie mit dem Kapitalismus brechen will und hierfür bloß moralische Argumente und lebensphilosophische Haltungen liefern kann. Sollte sich hingegen die wertkritische Behauptung bewahrheiten, dass das Kapital an den eigenen Widersprüchen zugrunde geht, dann wäre die Frage einer Emanzipationsperspektive nicht mehr innerhalb des kapitalistischen Formzusammenhangs aufweisbar, sondern nur noch jenseits dieser Form.
Um einem in diesen Zusammenhang häufig auftauchenden Missverständnis gleich entgegenzutreten: Die Behauptung, das Kapitalverhältnis ginge an sich selbst zugrunde, impliziert nicht, dass sich die Sache von selbst erledigt. Die Selbstzerstörung des Kapitals ist nämlich nicht identisch mit Emanzipation. Da die gesellschaftliche Vermittlung der stofflichen Reproduktion der Individuen sich allein in den Darstellungsformen des Kapitals (Arbeit, Ware, Geld) realisiert, droht mit dem Untergang des Kapital eben auch diese Reproduktion unterzugehen. Das Problem dabei ist, dass es derzeit keine anderen Formen gesellschaftlicher Vermittlung gibt, die jenseits von Ware-Geld-Beziehungen in der Lage wären, die stoffliche Reproduktion zu meistern. Sie zu entwerfen, wäre – neben den Abwehrkämpfen mit den irre-werdenden Geistern des alten Systems - die große Herausforderung einer Emanzipationsbewegung.
Ich muss es bei diesen Andeutungen belassen, um die Notwendigkeit zu unterstreichen, dass eine theoretische Auseinandersetzung um die Bestimmung von Kapitalismus und Krise notwendig und konsequenzenreich ist. Im Folgenden werde ich versuchen, die wertkritische Krisentheorie grob zu skizzieren.
Zur wertkritischen Krisentheorie
Um den grundlegenden Krisenmechanismus des Kapitals skizzieren zu können, ist es notwendig, die theoretischen Voraussetzungen und Grundbestimmungen offenzulegen, mit denen die Wertkritik – selbstredend im Anschluss an Marx – das Kapital zu bestimmen versucht.4 Unter Kapital wird dabei nicht – wie in vulgärmarxistischer Manier - eine Klasse von Privateigentümern an Produktionsmitteln verstanden, sondern der selbstzweckhafte Prozess der Wertverwertung, d.h. ein Prozess, bei dem es darum geht, aus Geld mehr Geld zu machen über den Umweg der Warenproduktion. Die Ergebnisse dieses Prozesses stellen sich in zwei unterschiedlichen Reichtumsformen dar, wobei das Geld die abstrakte Reichtumsform repräsentiert, während die Ware gemeinhin als stoffliche Reichtumsform angesehen wird. Die Marx'sche Analyse der Ware offenbart jedoch, dass bereits in der Ware selbst beide Reichtumsformen angelegt sind: Die Ware ist einerseits als konkret-sinnlicher Gegenstand zu fassen, der ein konkret-sinnliches Bedürfnis befriedigen kann. Andererseits ist die Ware Trägerin eines abstrakten Werts, der ausdrückt, dass diese Ware in einem bestimmten, rein quantitativen Verhältnis gegen eine andere Ware (oder gegen Geld) getauscht werden kann. Der in der Ware angelegte Widerspruch, einerseits als konkret-sinnliches Gebrauchsding zu existieren und andererseits als abstrakt-nichtsinnliches bzw. übersinnliches Wertding, bleibt jedoch nicht auf die Ware beschränkt, sondern durchzieht den Gesamtprozess der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion. Erscheint der widersprüchliche Charakter der Ware in der Analyse zunächst nur in einer vermeintlich harmlosen, weil bloß begrifflichen Form vorzuliegen, so entzündet und entfaltet er sich in dem Maße, wie die gesellschaftliche Reichtumsproduktion warenförmig durchdrungen ist. Es erweist sich dabei, dass beide Reichtumsformen (sinnlich-konkret vs. übersinnlich-abstrakt) nicht friedlich nebeneinander koexistieren, sondern real miteinander konfligieren. Dieser bereits im Doppelcharakter der Ware angelegte Konflikt zwischen der abstrakten Wertform und dem stofflichen Inhalt ist nun die Mutter aller Krisen.
Bevor im Folgende näher auf die Krisen einzugehen sein wird, sind zunächst einmal verschiedene Krisenformen voneinander zu unterscheiden. Denn Krise ist nicht gleich Krise. Zunächst einmal muss danach gefragt werden, in Bezug worauf überhaupt von einer Krise gesprochen werden kann. Ist der Prozess der Reichtumsproduktion selbst Gegenstand der Krise oder 'nur' sein soziales und ökologisches Umfeld? Was für die Menschen und für die Natur als Krise sich geltend macht, ist für das System meistens nichts anderes als der normale modus operandi, die normale Daseinsweise des kapitalistischen Reproduktionsprozesses. Die Vermeidung ökologischer Folgekosten der kapitalistischen Reichtumsproduktion ist genauso gewinnfördernd wie die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen, ihre Verlegung in Billiglohnländer oder die Erhöhung des Intensitätsgrades der Arbeit5.
Der Grund für die Rücksichtslosigkeit der Ökonomie gegenüber sozialen und ökologischen Aspekten liegt dabei nicht in der subjektiven Gier von ungebildeten oder moralisch-mangelhaften Menschen und auch nicht in der Natur des Menschen, sondern in den Widersprüchen der Ökonomie selbst, die – wie bereits angedeutet – zwischen den beiden Reichtumsformen (konkret-stofflich versus abstrakt) besteht. Das Geld, welches nichts anderes als die Inkarnation bzw. Verkörperung der abstrakten Wertseite aller Waren darstellt, ist nämlich nicht – wie die VWL-Lehre propagiert – bloßes Schmiermittel des ökonomischen Prozesses, sondern es ist Ausgangs- und Endpunkt der Reichtumsproduktion. Marx hat dafür die berühmte Formel des Kapitals geprägt: Geld-Ware-mehr Geld (G-W-G'). Im Geld ist die abstrakte Wertseite der Ware zum eigentlichen Zweck der Produktion geworden, während die konkrete-sinnliche Seite der Ware nur noch als Mittel für den übergeordneten Zweck der abstrakten Wertverwertung fungiert. D.h., der Verwertungsprozess bzw. die abstrakte Reichtumsproduktion geniest aus systemischer Sicht den Vorrang gegenüber allen möglichen Aspekten einer konkreten Reichtumsproduktion. Alle konkret-sinnliche Aspekte, seien sie nun ökologischer oder sozialer Art, sind sekundär und im Zweifelsfall zu vernachlässigen. Der Selbstzweck der abstrakten Reichtumsproduktion und das bloße Mittel-Werden der konkreten Reichtumsproduktion ist also der im Betriebsmodus des Systems angelegte Hauptgrund sozialer und ökologischer Krisen.
„Selbstzweck der abstrakten Reichtumsproduktion“ meint hier aber nicht nur, dass sich die abstrakte Wertseite der Ware tendenziell autonom macht von der konkret-sinnlichen Seite der Ware, sondern auch das relative Autonom-Werden der abstrakten Reichtumsproduktion vom menschlichen Gestaltungswillen. Die politische Souveränität endet am Verwertungsimperativ, denn dieser liefert ihr wichtigstes Gestaltungs- und Existenzmedium: Das Geld. Die abstrakte Reichtumsproduktion hat sich gegenüber den Menschen als eine fremde Macht etabliert, deren stummen, systemischen Zwängen die Individuen unterworfen sind. Marx spricht deshalb auch vom Kapital als einem „Automatischen Subjekt“.
Die durch den Selbstzweck der abstrakten Reichtumsproduktion hervorgerufenen sozialen und ökologischen Krisen stellten in der bisherigen Geschichte des Kapitalismus meistens keine ernstzunehmenden Krisen für das Kapital dar, da die Existenz des Systems als solches selten in seiner Totalität bedroht war. Aus systemischer Sicht ist es solange gleichgültig, ob Menschen am Hungertuch nagen oder irgendwelche Landstriche vergiftet oder verstrahlt sind, wie bestimmte allgemeine, stofflich-konkrete Rahmenbedingungen der Verwertung gegeben sind. Allein die Ware Arbeitskraft muss sich in ausreichendem Maße reproduzieren, wobei „ausreichend“ meint, dass die Ware Arbeitskraft nicht aussterben darf und ihre Leistungsfähigkeit einigermaßen konstant bleiben sollte. Hier gibt es natürlich aus der Perspektive der Gewinnerzonen jede Menge Spielraum nach unten...
Bevor im Folgende näher auf die Krisen einzugehen sein wird, sind zunächst einmal verschiedene Krisenformen voneinander zu unterscheiden. Denn Krise ist nicht gleich Krise. Zunächst einmal muss danach gefragt werden, in Bezug worauf überhaupt von einer Krise gesprochen werden kann. Ist der Prozess der Reichtumsproduktion selbst Gegenstand der Krise oder 'nur' sein soziales und ökologisches Umfeld? Was für die Menschen und für die Natur als Krise sich geltend macht, ist für das System meistens nichts anderes als der normale modus operandi, die normale Daseinsweise des kapitalistischen Reproduktionsprozesses. Die Vermeidung ökologischer Folgekosten der kapitalistischen Reichtumsproduktion ist genauso gewinnfördernd wie die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen, ihre Verlegung in Billiglohnländer oder die Erhöhung des Intensitätsgrades der Arbeit5.
Der Grund für die Rücksichtslosigkeit der Ökonomie gegenüber sozialen und ökologischen Aspekten liegt dabei nicht in der subjektiven Gier von ungebildeten oder moralisch-mangelhaften Menschen und auch nicht in der Natur des Menschen, sondern in den Widersprüchen der Ökonomie selbst, die – wie bereits angedeutet – zwischen den beiden Reichtumsformen (konkret-stofflich versus abstrakt) besteht. Das Geld, welches nichts anderes als die Inkarnation bzw. Verkörperung der abstrakten Wertseite aller Waren darstellt, ist nämlich nicht – wie die VWL-Lehre propagiert – bloßes Schmiermittel des ökonomischen Prozesses, sondern es ist Ausgangs- und Endpunkt der Reichtumsproduktion. Marx hat dafür die berühmte Formel des Kapitals geprägt: Geld-Ware-mehr Geld (G-W-G'). Im Geld ist die abstrakte Wertseite der Ware zum eigentlichen Zweck der Produktion geworden, während die konkrete-sinnliche Seite der Ware nur noch als Mittel für den übergeordneten Zweck der abstrakten Wertverwertung fungiert. D.h., der Verwertungsprozess bzw. die abstrakte Reichtumsproduktion geniest aus systemischer Sicht den Vorrang gegenüber allen möglichen Aspekten einer konkreten Reichtumsproduktion. Alle konkret-sinnliche Aspekte, seien sie nun ökologischer oder sozialer Art, sind sekundär und im Zweifelsfall zu vernachlässigen. Der Selbstzweck der abstrakten Reichtumsproduktion und das bloße Mittel-Werden der konkreten Reichtumsproduktion ist also der im Betriebsmodus des Systems angelegte Hauptgrund sozialer und ökologischer Krisen.
„Selbstzweck der abstrakten Reichtumsproduktion“ meint hier aber nicht nur, dass sich die abstrakte Wertseite der Ware tendenziell autonom macht von der konkret-sinnlichen Seite der Ware, sondern auch das relative Autonom-Werden der abstrakten Reichtumsproduktion vom menschlichen Gestaltungswillen. Die politische Souveränität endet am Verwertungsimperativ, denn dieser liefert ihr wichtigstes Gestaltungs- und Existenzmedium: Das Geld. Die abstrakte Reichtumsproduktion hat sich gegenüber den Menschen als eine fremde Macht etabliert, deren stummen, systemischen Zwängen die Individuen unterworfen sind. Marx spricht deshalb auch vom Kapital als einem „Automatischen Subjekt“.
Die durch den Selbstzweck der abstrakten Reichtumsproduktion hervorgerufenen sozialen und ökologischen Krisen stellten in der bisherigen Geschichte des Kapitalismus meistens keine ernstzunehmenden Krisen für das Kapital dar, da die Existenz des Systems als solches selten in seiner Totalität bedroht war. Aus systemischer Sicht ist es solange gleichgültig, ob Menschen am Hungertuch nagen oder irgendwelche Landstriche vergiftet oder verstrahlt sind, wie bestimmte allgemeine, stofflich-konkrete Rahmenbedingungen der Verwertung gegeben sind. Allein die Ware Arbeitskraft muss sich in ausreichendem Maße reproduzieren, wobei „ausreichend“ meint, dass die Ware Arbeitskraft nicht aussterben darf und ihre Leistungsfähigkeit einigermaßen konstant bleiben sollte. Hier gibt es natürlich aus der Perspektive der Gewinnerzonen jede Menge Spielraum nach unten...
Inwiefern kann von einer Krise des Kapitals also nun gesprochen werden?
Das Kapital mag soziale Krisen für die Menschen produzieren, allein es spricht wenig dafür, dass diese Krisen zurückschlagen und in einer Krise des Kapitals selbst kulminieren. Von einer solchen Option ist Marx in seiner Verelendungstheorie tatsächlich noch ausgegangen. Demnach fusionieren die vom Verwertungsdiktat angetriebenen Einzelkapital zu immer größeren Einheiten und vereinen damit gleichsam immer größere Einheiten von Besitzern der Ware Arbeitskraft unter ihr Kommando. Gemeinsam unter dem Joch der Verwertung leidend, formiert sich ein besonderes gesellschaftliches Interesse an der Überwindung der abstrakten Reichtumsproduktion bis sich schließlich das Proletariat erhebt und die Produktion von der Herrschaft des Werts befreit. Soweit die Marx'sche Verelendungs- bzw. Revolutionstheorie. Dabei hat Marx offenkundig die identitätsstiftende Macht der Warenform und die Präformierung des durch die Kapitallogik hergestellten Interesses unterschätzt. Statt um Aufhebung der abstrakten Reichtumsproduktion ging es der Arbeiterbewegung viel eher um Teilhabe. Die gerechtere Verteilung des Mehrwerts war der Emanzipationshorizont der Arbeiterbewegung, nicht die Abschaffung der Wert-Produktion als solcher. So wurde die Kritik der abstrakten Reichtumsproduktion, wie sie bei Marx angelegt war, entweder als abstrakte Forderung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben oder gleich in Gänze ausgeblendet. So konstatiert die Wertkritik, dass das Kapital aus sich heraus zwar notwendig soziale Krisen produziert, dass diese aber mit Notwendigkeit zu einer Überwindung des Verhältnisses führen, davon kann keine Rede sein.
Es gebe natürlich eine gänzlich andere Form der sozialen Krise für das Kapital. Sie bestünde in der bewussten Abschaffung der abstrakten Reichtumsproduktion, d.h. der Aufhebung der Waren- und Geldlogik durch die bewusste Aneignung und naturalförmige Organisation der stofflichen Reichtumsproduktion. Diese stellt sich jedoch nicht in einem quasi-naturgesetzlichen Prozess her. Emanzipation ist kein Automatismus.
Schon anders stellt sich die Situation im Hinblick auf eine mögliche ökologische bzw. natürliche Schranke der Kapitalakkumulation dar. Im Wesen der abstrakten Reichtumsproduktion liegt nämlich nicht nur begründet, dass sie blind und strukturell rücksichtslos gegen soziale und ökologische Kriterien und Qualitäten ist; auch in quantitativer Hinsicht ist sie strukturell rücksichtslos, insofern sie kein Maß kennt. Anders als es die diversen Spielarten der Zinskritik behaupten (die derzeit Konjunktur feiern6), liegt bereits in der Formel des produktiven Kapitals (G-W-G') das ganze Geheimnis des systemischen Wachstumszwangs begründet – aus Geld mehr Geld zu machen. Der Systemzwang zur unendlichen Geldvermehrung steht logisch im Widerspruch zur Endlichkeit der natürlichen Ressourcen.
Ideologisch kann diese natürliche Schranke des Kapitals jedoch durch die diversen Vorstellungen von einem Green Deal bzw. grünen Kapitalismus abgewehrt werden in der Hoffnung, so schlimm werde der Klimawandel nicht und die erschöpften fossilen Brennstoffe fänden in den solaren Energien eine adäquaten Ersatz. Gleichwohl ist schwer einzuschätzen, wann die natürlichen Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation so nachhaltig vernutzt oder zerstört sind, dass eine Kapitalakkumulation nicht mehr möglich ist.
Diese krisentheoretischen Überlegungen betreffen jedoch allein die externen sozialen und natürlichen Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation. Zumindest im Umfeld einer radikalen Linken dürften diese Überlegungen noch weitgehend konsensfähig sein. Die wertkritische Krisentheorie geht jedoch noch einen Schritt weiter. Sie behauptet ja, dass das Kapital selbst seine innere Schranke sei, was meint, dass das Kapital eine innere Tendenz zur Selbstzerstörung besitzt. Erst im Kontext einer Krisentheorie des Kapitals selbst offenbart sich die Haltlosigkeit von Vorstellungen sozialer und ökologischer Regulation des Kapitalismus. Ich werde nun grob die wesentlichen Grundzüge der wertkritischen Krisentheorie, soweit sie das Kapitalverhältnis selbst betreffen, nachzeichnen.
Es gebe natürlich eine gänzlich andere Form der sozialen Krise für das Kapital. Sie bestünde in der bewussten Abschaffung der abstrakten Reichtumsproduktion, d.h. der Aufhebung der Waren- und Geldlogik durch die bewusste Aneignung und naturalförmige Organisation der stofflichen Reichtumsproduktion. Diese stellt sich jedoch nicht in einem quasi-naturgesetzlichen Prozess her. Emanzipation ist kein Automatismus.
Schon anders stellt sich die Situation im Hinblick auf eine mögliche ökologische bzw. natürliche Schranke der Kapitalakkumulation dar. Im Wesen der abstrakten Reichtumsproduktion liegt nämlich nicht nur begründet, dass sie blind und strukturell rücksichtslos gegen soziale und ökologische Kriterien und Qualitäten ist; auch in quantitativer Hinsicht ist sie strukturell rücksichtslos, insofern sie kein Maß kennt. Anders als es die diversen Spielarten der Zinskritik behaupten (die derzeit Konjunktur feiern6), liegt bereits in der Formel des produktiven Kapitals (G-W-G') das ganze Geheimnis des systemischen Wachstumszwangs begründet – aus Geld mehr Geld zu machen. Der Systemzwang zur unendlichen Geldvermehrung steht logisch im Widerspruch zur Endlichkeit der natürlichen Ressourcen.
Ideologisch kann diese natürliche Schranke des Kapitals jedoch durch die diversen Vorstellungen von einem Green Deal bzw. grünen Kapitalismus abgewehrt werden in der Hoffnung, so schlimm werde der Klimawandel nicht und die erschöpften fossilen Brennstoffe fänden in den solaren Energien eine adäquaten Ersatz. Gleichwohl ist schwer einzuschätzen, wann die natürlichen Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation so nachhaltig vernutzt oder zerstört sind, dass eine Kapitalakkumulation nicht mehr möglich ist.
Diese krisentheoretischen Überlegungen betreffen jedoch allein die externen sozialen und natürlichen Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation. Zumindest im Umfeld einer radikalen Linken dürften diese Überlegungen noch weitgehend konsensfähig sein. Die wertkritische Krisentheorie geht jedoch noch einen Schritt weiter. Sie behauptet ja, dass das Kapital selbst seine innere Schranke sei, was meint, dass das Kapital eine innere Tendenz zur Selbstzerstörung besitzt. Erst im Kontext einer Krisentheorie des Kapitals selbst offenbart sich die Haltlosigkeit von Vorstellungen sozialer und ökologischer Regulation des Kapitalismus. Ich werde nun grob die wesentlichen Grundzüge der wertkritischen Krisentheorie, soweit sie das Kapitalverhältnis selbst betreffen, nachzeichnen.
Die innere Schranke des Kapitals
Der alles entscheidende Ausgangspunkt einer Krisentheorie des Kapitals ist, dass Arbeit die einzige Quelle der abstrakten Reichtumsproduktion darstellt. Weil dieser Punkt von elementarer Bedeutung ist – mit ihm steht oder fällt eine jede Krisentheorie des Kapitals, muss hierauf etwas näher eingegangen werden.
Wenn eingangs von abstrakter Reichtumsproduktion bzw. Wert-Verwertung die Rede war, dann ist jetzt näher auf die Frage einzugehen, was der Wert eigentlich ist und wie er überhaupt produziert werden kann. Phänomenologisch drückt der Wert einer Ware eine Äquivalenzbeziehung aus. 10 Flaschen Bier = 1 Schachtel Zigaretten; 10 Ware x = 1 Ware y. Was heißt aber „ist gleich“? Betrachten wir Bier und Zigaretten ihre äußeren Gestalt nach, so sind sie ebenso wenig gleich wie im Hinblick auf ihren Gebrauch. Ihrer sinnlichen, konkret-stofflichen Gestalt nach sind zu tauschende Waren unterschiedlich. Doch in der Äquivalenzbeziehung des Tausches verschwindet diese Unterschiedlichkeit, die Waren gelten nur noch gleichviel. Gleichviel aber wovon? Worauf bezieht sich der Ausdruck, eine bestimmte Menge der Ware X sei gleich einer bestimmten Menge Ware Y? Die konkret-stoffliche Gestalt der Waren kann es nicht sein, denn diese ist nicht gleich und damit auch nicht vergleichbar. Eine Gleichheit der Waren kann offenbar nur gewonnen werden, wenn von dieser stofflich-konkreten Gestalt abstrahiert wird. Vollziehen wir diese Abstraktion, dann wird offenbar, dass Waren Arbeitsprodukte sind; darin besteht ihre Identität. Im Tausch gelten Waren objektiv nur noch als Vergegenständlichung von Arbeiten, die produktiven Tätigkeiten der Warenbesitzer werden gleich gesetzt. Doch damit verwandelt sich auch die produktiven Tätigkeiten. Denn die Tätigkeit des Bierbrauens ist grundverschieden zu der des Tabakanbaus. Durch die Äquivalenzbeziehung des Tausches wird also auch von der Unterschiedlichkeit der konkreten Produktionstätigkeiten abstrahiert. Abstrahieren wir aber von den konkreten Tätigkeiten, so gelangen wir zum Begriff der abstrakten Arbeit, der nur noch die Verausgabung menschlicher Energie ausdrückt. Es ist nun diese verausgabte menschliche Energie bzw. abstrakte Arbeit, die nach Marx und Wertkritik, Wert bildet.
Der rastlose Prozess der abstrakten Reichtumsproduktion der Wert-Verwertung hat also die Verausgabung abstrakter Arbeit zur Grundlage. Abstrakte Arbeit bildet Wert, der wiederum eine erweiterte Verausgabung abstrakter Arbeit verlangt. Tote Arbeit bzw. vergegenständlichter Wert wendet lebendige Arbeit an. Nichts anderes besagt die Formel des Kapitals G-W-G'. Arbeit ist also nicht – wie der Traditionsmarxismus behauptete – das Gegenprinzip zum Kapital, sondern dessen innerstes Wesen, seine Substanz.
In krisentheoretischer Hinsicht ist nun festzuhalten, dass Wachstumszwang und Konkurrenz der Einzelkapitale es erfordern, dass die Produktivkräfte in einem ungeheuren Ausmaß revolutioniert und gesteigert werden. Gesteigerte Produktivkraft bedeutet ja bekanntlich, dass weniger Arbeitskraft pro einzelner Ware aufgewendet werden muss. Weniger angewendete Arbeitskraft heißt weniger vergegenständlichter Wert. Einfach ausgedrückt: Die Waren sind billiger als die der Konkurrenz. Ein Einzelkapital, das eine neue produktivtätssteigernde Technologie einzusetzen vermag, setzt die Konkurrenz somit unter Druck und zwingt zur Verallgemeinerung der neuen Produktivkraft steigernden Technologie. Damit ist ein permanenter innerer Zwang der Einzelkapitale angezeigt, Arbeitskraft bzw. die Anwendung lebendiger Arbeit aus dem Produktionsprozess zu verdrängen. Gleichzeitig ist aber Arbeit – wie oben dargestellt – die einzige Quelle des Werts. Es ist so, als würde das Kapital permanent an dem Ast sägen, auf dem es sitzt. Damit das Kapital als Gesamtverhältnis nicht untergeht, muss es die permanente Verdrängung der Wertquelle durch die Ausweitung der Produktion überkompensieren. So hat die Fließbandproduktion Henry Fords die pro Auto benötigte Arbeit derart reduziert, dass das Auto durch Verbilligung zu einem Massenkonsum-Artikel wurde; indem aber der ehemalige Luxuskonsumartikel zu einem Gegenstand des Massenkonsums wurde, war eine enorme Ausweitung der Produktion möglich, die den Schwund der pro Auto vergegenständlichten Arbeit durch Steigerung der insgesamt angewendeten Arbeitskräfte bzw. Arbeit absolut überkompensieren konnte. Marx nennt diesen Prozess, in dem immer mehr tote Arbeit (vergegenständlicht in der Wertmasse hochproduktiver Technologien) immer weniger lebendige Arbeit verwertet, das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate. Fälschlicherweise wird mit diesem Prozess oft die wertkritische Krisentheorie assoziiert. Doch wie bereits der Begriff tendenziell andeutet, ist dieser Fall der Profitrate nur eine Tendenz, der diverse Faktoren entgegenwirken können. Solche Faktoren können die absolute Ausdehnung der Produktion im Kontext eines Massenkonsums (wie im Fordismus), die territoriale Ausdehnung und Eroberung neuer Märkte (Protektionismus oder Imperialismus) oder die Schaffung völlig neuer Produkte sein. In all diesen Fällen wird das Sinken der Profitrate durch die Ausdehnung der Profitmasse mehr als ausgeglichen. Erst wenn solche kompensatorischen Faktoren nicht mehr greifen, entsteht eine Situation, in der der Profitratenfall in einen absoluten Fall der Profitmasse übergeht. Wann ein solcher Fall genau eintritt, ist mit Sicherheit nicht bestimmbar, denn die grundlegenden Formen der abstrakten Reichtumsproduktion (abstrakte Arbeit und Wert) sind keine empirischen Größen; sie sind also nicht messbar. Gleichwohl spricht aus Sicht der Wertkritik einiges dafür, dass mit der dritten industriellen Revolution bzw. der mikroelektronischen Revolution der Kapitalismus in ein Stadium eingetreten ist, in dem die Produktivkraftentwicklung eine derartige Verdrängung der wertbildenden Arbeitssubstanz etabliert hat, die nicht mehr durch Produktinnovationen und ähnliche Kompensationseffekte ausgeglichen werden kann. Für diese These sprechen die strukturelle Massenarbeitslosigkeit in den Gewinnerzonen des Weltmarktes seit den 80er Jahren, der enorme Anstieg der Staatsverschuldung, die tendenzielle Verschiebung vom alten, kolonialen Eroberungsimperialismus hin zum Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus und die – auch in diesem Zeitraum stattfindende – Aufblähung der Finanzmärkte. Sollte die wertkritischen Überlegungen zur Krisendynamik des produktiven Kapital zutreffend sein, dann ist der Beginn des Krisenprozesses nicht 2007 oder 2008 zu verorten, sondern bereits in den 80er Jahren. Überhaupt ist darauf hinzuweisen, dass die Rede von Krise und Zusammenbruch des Waren produzierenden Systems keinen postmodernen Event meint, keinen punktförmigen Showdown, sondern einen längeren Prozess des schrittweisen Verfalls, der durch Krisenschübe, zeitweilige Erholungen und das Nebeneinander-Bestehen unterschiedlicher Phasen von offenem Notstand und mehr oder weniger moderateren Formen der Krisenverwaltung begleitet wird. Ein wesentlicher Aspekt, der die Verlaufsformen einer durch die Verwertungsimpotenz des produktiven Kapitals befeuerten Krisendynamik beeinflusst, ist der Prozess der Virtualisierung bzw. Fiktionalisierung des Werts. Dieser Prozess ist nicht dem oben beschriebenen Prozess zuzurechnen, bei dem der tendenzielle Fall der Profitrate durch die absolute Ausdehnung der Profitmasse überkompensiert wird. Was sich hier nämlich tatsächlich ausdehnt, ist nicht eine tatsächliche massenhafte Anwendung abstrakter Arbeit, sondern die „Produktion“ eines fiktiven Werts. Was als kasinokapitalistischer Boom von den Apologeten des Systems gefeiert wurde, ist also in wertkritischer Lesart nichts weiter als der Ausdruck einer tiefgreifenden Systemkrise.
Wenn eingangs von abstrakter Reichtumsproduktion bzw. Wert-Verwertung die Rede war, dann ist jetzt näher auf die Frage einzugehen, was der Wert eigentlich ist und wie er überhaupt produziert werden kann. Phänomenologisch drückt der Wert einer Ware eine Äquivalenzbeziehung aus. 10 Flaschen Bier = 1 Schachtel Zigaretten; 10 Ware x = 1 Ware y. Was heißt aber „ist gleich“? Betrachten wir Bier und Zigaretten ihre äußeren Gestalt nach, so sind sie ebenso wenig gleich wie im Hinblick auf ihren Gebrauch. Ihrer sinnlichen, konkret-stofflichen Gestalt nach sind zu tauschende Waren unterschiedlich. Doch in der Äquivalenzbeziehung des Tausches verschwindet diese Unterschiedlichkeit, die Waren gelten nur noch gleichviel. Gleichviel aber wovon? Worauf bezieht sich der Ausdruck, eine bestimmte Menge der Ware X sei gleich einer bestimmten Menge Ware Y? Die konkret-stoffliche Gestalt der Waren kann es nicht sein, denn diese ist nicht gleich und damit auch nicht vergleichbar. Eine Gleichheit der Waren kann offenbar nur gewonnen werden, wenn von dieser stofflich-konkreten Gestalt abstrahiert wird. Vollziehen wir diese Abstraktion, dann wird offenbar, dass Waren Arbeitsprodukte sind; darin besteht ihre Identität. Im Tausch gelten Waren objektiv nur noch als Vergegenständlichung von Arbeiten, die produktiven Tätigkeiten der Warenbesitzer werden gleich gesetzt. Doch damit verwandelt sich auch die produktiven Tätigkeiten. Denn die Tätigkeit des Bierbrauens ist grundverschieden zu der des Tabakanbaus. Durch die Äquivalenzbeziehung des Tausches wird also auch von der Unterschiedlichkeit der konkreten Produktionstätigkeiten abstrahiert. Abstrahieren wir aber von den konkreten Tätigkeiten, so gelangen wir zum Begriff der abstrakten Arbeit, der nur noch die Verausgabung menschlicher Energie ausdrückt. Es ist nun diese verausgabte menschliche Energie bzw. abstrakte Arbeit, die nach Marx und Wertkritik, Wert bildet.
Der rastlose Prozess der abstrakten Reichtumsproduktion der Wert-Verwertung hat also die Verausgabung abstrakter Arbeit zur Grundlage. Abstrakte Arbeit bildet Wert, der wiederum eine erweiterte Verausgabung abstrakter Arbeit verlangt. Tote Arbeit bzw. vergegenständlichter Wert wendet lebendige Arbeit an. Nichts anderes besagt die Formel des Kapitals G-W-G'. Arbeit ist also nicht – wie der Traditionsmarxismus behauptete – das Gegenprinzip zum Kapital, sondern dessen innerstes Wesen, seine Substanz.
In krisentheoretischer Hinsicht ist nun festzuhalten, dass Wachstumszwang und Konkurrenz der Einzelkapitale es erfordern, dass die Produktivkräfte in einem ungeheuren Ausmaß revolutioniert und gesteigert werden. Gesteigerte Produktivkraft bedeutet ja bekanntlich, dass weniger Arbeitskraft pro einzelner Ware aufgewendet werden muss. Weniger angewendete Arbeitskraft heißt weniger vergegenständlichter Wert. Einfach ausgedrückt: Die Waren sind billiger als die der Konkurrenz. Ein Einzelkapital, das eine neue produktivtätssteigernde Technologie einzusetzen vermag, setzt die Konkurrenz somit unter Druck und zwingt zur Verallgemeinerung der neuen Produktivkraft steigernden Technologie. Damit ist ein permanenter innerer Zwang der Einzelkapitale angezeigt, Arbeitskraft bzw. die Anwendung lebendiger Arbeit aus dem Produktionsprozess zu verdrängen. Gleichzeitig ist aber Arbeit – wie oben dargestellt – die einzige Quelle des Werts. Es ist so, als würde das Kapital permanent an dem Ast sägen, auf dem es sitzt. Damit das Kapital als Gesamtverhältnis nicht untergeht, muss es die permanente Verdrängung der Wertquelle durch die Ausweitung der Produktion überkompensieren. So hat die Fließbandproduktion Henry Fords die pro Auto benötigte Arbeit derart reduziert, dass das Auto durch Verbilligung zu einem Massenkonsum-Artikel wurde; indem aber der ehemalige Luxuskonsumartikel zu einem Gegenstand des Massenkonsums wurde, war eine enorme Ausweitung der Produktion möglich, die den Schwund der pro Auto vergegenständlichten Arbeit durch Steigerung der insgesamt angewendeten Arbeitskräfte bzw. Arbeit absolut überkompensieren konnte. Marx nennt diesen Prozess, in dem immer mehr tote Arbeit (vergegenständlicht in der Wertmasse hochproduktiver Technologien) immer weniger lebendige Arbeit verwertet, das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate. Fälschlicherweise wird mit diesem Prozess oft die wertkritische Krisentheorie assoziiert. Doch wie bereits der Begriff tendenziell andeutet, ist dieser Fall der Profitrate nur eine Tendenz, der diverse Faktoren entgegenwirken können. Solche Faktoren können die absolute Ausdehnung der Produktion im Kontext eines Massenkonsums (wie im Fordismus), die territoriale Ausdehnung und Eroberung neuer Märkte (Protektionismus oder Imperialismus) oder die Schaffung völlig neuer Produkte sein. In all diesen Fällen wird das Sinken der Profitrate durch die Ausdehnung der Profitmasse mehr als ausgeglichen. Erst wenn solche kompensatorischen Faktoren nicht mehr greifen, entsteht eine Situation, in der der Profitratenfall in einen absoluten Fall der Profitmasse übergeht. Wann ein solcher Fall genau eintritt, ist mit Sicherheit nicht bestimmbar, denn die grundlegenden Formen der abstrakten Reichtumsproduktion (abstrakte Arbeit und Wert) sind keine empirischen Größen; sie sind also nicht messbar. Gleichwohl spricht aus Sicht der Wertkritik einiges dafür, dass mit der dritten industriellen Revolution bzw. der mikroelektronischen Revolution der Kapitalismus in ein Stadium eingetreten ist, in dem die Produktivkraftentwicklung eine derartige Verdrängung der wertbildenden Arbeitssubstanz etabliert hat, die nicht mehr durch Produktinnovationen und ähnliche Kompensationseffekte ausgeglichen werden kann. Für diese These sprechen die strukturelle Massenarbeitslosigkeit in den Gewinnerzonen des Weltmarktes seit den 80er Jahren, der enorme Anstieg der Staatsverschuldung, die tendenzielle Verschiebung vom alten, kolonialen Eroberungsimperialismus hin zum Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus und die – auch in diesem Zeitraum stattfindende – Aufblähung der Finanzmärkte. Sollte die wertkritischen Überlegungen zur Krisendynamik des produktiven Kapital zutreffend sein, dann ist der Beginn des Krisenprozesses nicht 2007 oder 2008 zu verorten, sondern bereits in den 80er Jahren. Überhaupt ist darauf hinzuweisen, dass die Rede von Krise und Zusammenbruch des Waren produzierenden Systems keinen postmodernen Event meint, keinen punktförmigen Showdown, sondern einen längeren Prozess des schrittweisen Verfalls, der durch Krisenschübe, zeitweilige Erholungen und das Nebeneinander-Bestehen unterschiedlicher Phasen von offenem Notstand und mehr oder weniger moderateren Formen der Krisenverwaltung begleitet wird. Ein wesentlicher Aspekt, der die Verlaufsformen einer durch die Verwertungsimpotenz des produktiven Kapitals befeuerten Krisendynamik beeinflusst, ist der Prozess der Virtualisierung bzw. Fiktionalisierung des Werts. Dieser Prozess ist nicht dem oben beschriebenen Prozess zuzurechnen, bei dem der tendenzielle Fall der Profitrate durch die absolute Ausdehnung der Profitmasse überkompensiert wird. Was sich hier nämlich tatsächlich ausdehnt, ist nicht eine tatsächliche massenhafte Anwendung abstrakter Arbeit, sondern die „Produktion“ eines fiktiven Werts. Was als kasinokapitalistischer Boom von den Apologeten des Systems gefeiert wurde, ist also in wertkritischer Lesart nichts weiter als der Ausdruck einer tiefgreifenden Systemkrise.
Die Fiktionalisierung des Werts als Ausdruck der realen Verwertungskrise
In Zeiten struktureller Überkapazitäten in der Produktion und gesättigter Märkte (zumindest im Sinne einer kaufkräftigen Nachfrage) bieten die Finanzmärkte den Einzelkapitalen, die ihre Gewinne nicht mehr gewinnbringend in den produktiven Sektor anlegen können, eine alternative Anlagemöglichkeit.7 Produzierte Mehrwert wandert in Geldform an die Finanzmärkte und verwandelt sich in Kredit. Worum geht es beim Kredit? Betrachten wir seine Grundform, so stellt er sich als die Bewegung G-G' dar, Geld wird verliehen und kehrt als mehr Geld wieder zurück. Was zunächst nach dem endgültigen Autonom-Werden der abstrakten Reichtumsproduktion ausschaut, insofern der Umweg über die lästige Warenproduktion entfällt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine bloße Sinnestäuschung. Denn tatsächlich bleibt der Kredit (G-G') mit der Bewegung des produktiven Kapitals (G-W-G') verzahnt, weil das mehr an Geld letztlich durch den Kreditnehmer wertmäßig produziert werden muss (G- G-W-G' -G'). Die tatsächliche Abhängigkeit von produktiven und fiktiven Kapital wird insbesondere im Moment der Krise sichtbar, wenn das kreditnehmende Einzelkapital in der Wert-Produktion scheitert und weder Zins noch Kredit zurückzahlen kann. So macht sich schließlich geltend, dass 1.) eine Wertschöpfung aus dem Nichts illusorisch ist und 2.) dass das eigentliche Problem nicht im Kredit und seinen Fiktionalisierungen besteht (wie von der gängigen, mit strukturell-antisemitischen Untertönen versetzten Finanzmarkt- und Spekulantenschelte behauptet wird), sondern in der Verwertungsimpotenz des produktiven Kapitals selbst. Marx schreibt in diesem Sinn: „Wenn Spekulation gegen Ende einer bestimmten Handelsperiode als unmittelbarer Vorläufer des Zusammenbruchs auftritt, sollte man nicht vergessen, daß die Spekulation selbst in den vorausgehenden Phasen der Periode erzeugt worden ist und daher selbst ein Resultat und eine Erscheinung und nicht den letzten Grund und das Wesen darstellt. Die politischen Ökonomen, die vorgeben, die regelmäßigen Zuckungen von Industrie und Handel durch Spekulation zu erklären, ähneln der jetzt ausgestorbenen Schule von Naturphilosophen, die das Fieber als den wahren Grund aller Krankheiten ansehen.”8
Allerdings liegt es im Wesen des Kreditsystems, die Stunde der Wahrheit über die reale Verwertungsimpotenz des produktiven Kapitals zeitlich hinausschieben zu können. Dies gilt bereits für den einfachen Kredit mit seinen Laufzeiten, wie für Kreditketten (in denen Kredite durch Kredite bedient werden) bis hin zu den mannigfaltigen Formen der Spekulation. So wirkt der Kredit und seine Derivate krisenaufschiebend. Außerdem kann der Kredit als künstliche Nachfrage auftreten und so die verschwundene Nachfrage der aus dem Verwertungsprozess wegrationalisierten Arbeitskraft-Besitzer teilweise kompensieren. Die Immobilienblase in den USA am Vorabend der Krise war genau ein solches Szenario. Die amerikanischen Häus'l-Besitzer bekamen auf ihre Häuser günstige Kredite, die vor allem in den Konsum eingingen. Das Phänomen spielte sich in einer Größenordnung ab, die die USA zum Konsumenten der globalen Überproduktion werden ließ. Das US-amerikanische Handelbilanzdefizit spricht in dieser Hinsicht Bände. Doch wie bei jedem Kredit ist irgendwann Zahltag, d.h. es muss sich erweisen, ob dem Kredit eine entsprechende reale Wertschöpfung gegenübersteht. Wenn dies nicht der Fall ist, erweist sich die Grundformel des Kredits G-G' real als das, was sie potenziell schon immer war: als eine Fiktionalisierung des Werts. Schlagartig wird die abstrakte Reichtumsproduktion auf ihre Bedingungen zurückgeworfen, d.h. auf die Krise des produktiven Kapitals und dessen schwindende Potenz, abstrakte Arbeit wertproduktiv anwenden zu können.
Allerdings liegt es im Wesen des Kreditsystems, die Stunde der Wahrheit über die reale Verwertungsimpotenz des produktiven Kapitals zeitlich hinausschieben zu können. Dies gilt bereits für den einfachen Kredit mit seinen Laufzeiten, wie für Kreditketten (in denen Kredite durch Kredite bedient werden) bis hin zu den mannigfaltigen Formen der Spekulation. So wirkt der Kredit und seine Derivate krisenaufschiebend. Außerdem kann der Kredit als künstliche Nachfrage auftreten und so die verschwundene Nachfrage der aus dem Verwertungsprozess wegrationalisierten Arbeitskraft-Besitzer teilweise kompensieren. Die Immobilienblase in den USA am Vorabend der Krise war genau ein solches Szenario. Die amerikanischen Häus'l-Besitzer bekamen auf ihre Häuser günstige Kredite, die vor allem in den Konsum eingingen. Das Phänomen spielte sich in einer Größenordnung ab, die die USA zum Konsumenten der globalen Überproduktion werden ließ. Das US-amerikanische Handelbilanzdefizit spricht in dieser Hinsicht Bände. Doch wie bei jedem Kredit ist irgendwann Zahltag, d.h. es muss sich erweisen, ob dem Kredit eine entsprechende reale Wertschöpfung gegenübersteht. Wenn dies nicht der Fall ist, erweist sich die Grundformel des Kredits G-G' real als das, was sie potenziell schon immer war: als eine Fiktionalisierung des Werts. Schlagartig wird die abstrakte Reichtumsproduktion auf ihre Bedingungen zurückgeworfen, d.h. auf die Krise des produktiven Kapitals und dessen schwindende Potenz, abstrakte Arbeit wertproduktiv anwenden zu können.
Von der Finanzmarktkrise zu Staatsschuldenkrise
Um den Systemkollaps zu vermeiden, sprang nun der Staat ein, der den Durchschlag der Krise zu verhindern suchte, indem er ein Großteil der Krisenpotenz in sich aufnahm. Dies geschah u.a. durch staatliche Konjunkturprogramme (Stichwort: Abwrackprämie), die das schlagartige Wegfallen der kreditfinanzierten Nachfrage teilweise abfangen sollten, und durch die Übernahme der wertlosen Kredittitel durch quasi-staatliche bad banks. Die ohnehin hohe Staatsverschuldung, die durch die allgemeinen Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation seit dem Fordismus anfällt, transformiert sich nun zu einer manifesten Staatsschuldenkrise. Da die Staaten wiederum als Kreditnehmer auf den Finanzmärkten in einer Nachfragekonkurrenz zueinander stehen, bricht sich die Staatsschuldenkrise in denjenigen Staaten zuerst brachial Bahn, deren reale Wertschöpfungspotenz ohnehin am geringsten ist – im Kontext der EU ist dies vor allem Griechenland, aber auch Portugal, Spanien, Irland und Italien gelten als weitere Wackelkandidaten. Die Differenzen in der realen Wertschöpfungspotenz der jeweiligen Nationalökonomie sind primär das Ergebnis der Standortkonkurrenz, die im Kern darin besteht, unter geringst möglicher Vernutzung der Ware Arbeitskraft einen größtmöglichen Warenoutput herzustellen, um damit den Absatz der Konkurrenz an die Wand zu fahren. Dass Deutschland hierbei als Exportweltmeister besonders erfolgreich war, lädt ähnlich zum Brechen ein, wie die unsägliche Rede von den faulen, korrupten und misswirtschaftenden Griechen, dem deutschen Technokraten erst einmal die Flötentöne einer strengen Haushaltsdisziplin und richtigen Arbeitsmoral beibringen müssten. Dem deutschen Chauvinismus steht dabei bereits die nackte Angst ins Gesicht geschrieben, dass die Verlierer im Rentabilitätswettbewerb das Boot der relativen Krisengewinnler zum Absaufen bringen könnten. Tatsächlich ist aber auch deren Kahn Leck geschlagen. Die exponentiell wachsende deutsche Staatsverschuldung seit den 60er Jahren spricht der Sparsamkeitsrethorik Hohn, die man den Weltmarktloosern jetzt als heilende Rosskur aufzwingt. Keine schwäbische Hausfrau9 der Welt kann das Prinzip der Kapitalverwertung und ihrer immanenten Krisendynamik dauerhaft außer Kraft setzen – auch nicht in der BRD.
Es bahnt sich bereits an, dass sich das Krisenpotential, das in den Widersprüchen der Kapitalakkumulation seinen Ausgangspunkt nahm, von hier aus sich auf die Finanzmärkte übertrug, um sich dann zu einer Staatsschuldenkrise transformierte, schließlich in einer Krise des Zentralmediums der abstrakten Reichtumsproduktion selbst entladen wird: Im Geld. Das Wettrennen der abstrakten Reichtumsproduktion wird am Ende keinen Sieger kennen.
Vor dem Hintergrund dieser krisentheoretischen Überlegungen, die hier nur grob und deskriptiv umrissen wurden, stellt sich die Dringlichkeit und Ausrichtung einer Emanzipationsperspektive auf ganz spezifische Art. Demnach gilt es, sich von der Herrschaft der abstrakten Reichtumsproduktion mit ihren Grundformen von abstrakter Arbeit und Wert zu emanzipieren. Doch unglücklicherweise sind abstrakte Arbeit und Wert keine Gegenstände irgendwo da draußen, sondern durch uns gesellschaftlich konstituiert. Sie stellen die Art und Weise dar, wie wir uns gesellschaftlich vermitteln. Arbeiten gehen, Geld verdienen, kaufen und verkaufen sind keine bloß äußerlichen Handlungen, sie bestimmen in vielerlei Hinsicht unser Denken und Fühlen; ja, sie sind uns zur zweiten Haut geworden. Robert Kurz formulierte das daraus erwachsende Dilemma einmal so: „Die Passagiere der Titanic wollen an Deck bleiben, und die Kapelle soll weiterspielen.“10 Dieses Phänomen spiegelt sich in dramatischer Weise auch und gerade in den Protestbewegungen wieder, die nur selten mit ihren programmatischen Entwürfen die bürgerlichen Vergesellschaftungsformen in den Fokus bekommen. Solange sich keine emanzipatorische Kraft formiert, die die Abschaffung einer Vergesellschaftung über den Wert theoretisch wie praktisch ernsthaft in den Blick nimmt, muss konstatiert werden, dass wir die Produzenten der Krise, dass wir die Krise sind.
Fußnoten
1http://www.krisis.org/2000/neues-vom-weltuntergang, Stand: 29.03.2012.
2Betrachtet man das marxistische Diskursfeld, so steht Michael Heinrich und andere Vertreter der Neuen Marxlektüre insofern der Wertkritik relativ nahe, als dort die Kategorie des Werts in das Zentrum der Marx-Exegese gerückt wird. Dabei sind jedoch Unterschiede der Wert-Bestimmung zu beachten
3Als ein letztes unrühmliches Beispiel dieser Ohnmacht kann Wolfgang Pohrt, ehemals hoffnungsvolle Theorieepigone der kritischen Theorie, betrachtet werden. Sein neuestes Buch „Kapitalismus forever“ ist eine aggressives Plädoyer für die Anerkennung der Allmacht des Kapitals.
4Die Argumentation ist einigermaßen Komplex und der Teufel steckt wie immer im Detail; um dies zu illustrieren, sei auf die theoretischen Entwürfe von Michael Heinrich und Robert Kurz verwiesen, die beide sich in ihrer Kapitalismuskritik zentral auf die Kategorie des Werts beziehen. Die von ihnen vorgenommenen kategorialen Bestimmungsunterschiede erscheinen von weitem betrachtet marginal, doch sind sie so folgenschwer, dass sich für den Einen einen fundamentale Krisentheorie geradezu verbietet, während sie für den Anderen zwangsläufig ist.
5Diese Intensivierung bzw. Verdichtung der Arbeit hat vielerlei Gesichter und steht im schreienden Kontrast zu Massenarbeitslosigkeit. Ihre schrillste Ausformung ist bekanntlich der Tod durch Arbeit, ein Phänomen, das in Japan so weit verbreitet ist, dass es mit einen eigenen Begriff belegt wurde: Karoshi. Bekannter dürften jedoch hierzulande die Selbstmorde beim iPad-Zulieferer Foxconn oder die Selbstmordserie in der französischen Telekom sein.
6Vor der Krise wären Geldpfuschertheorien, wie die von Silvio Gesell vom akademischen Mainstream als auch von den seriösen bürgerlichen Medien wahrscheinlich noch des Obskurantismus geziehen und links liegen gelassen worden. Im Kontext der Krise und der Erschütterung der neoklassischen Paradigmen sucht das bürgerliche Bewusstsein verzweifelt nach Interpretationsmustern, die über eine Regulation des Geldes den Kapitalismus zu retten gedenken. Die Palette reicht dabei vom Vollgeld-Entwürfen bis zum Klassiker der Zinskritik. Ein Beispiel für die Renaissance des ökonomischen Obskurantismus im bürgerlichen Bewusstsein ist das Interview mit dem Wirtschaftswissenschaftler Werner Onken in der Zeit „Geld muss rosten!“, http://www.zeit.de/2012/12/Interview-Onken, Stand: 20.03.2012.
7Hätte es diese Möglichkeit nicht gegeben, wäre der Kapitalismus mit Sicherheit bereits in den 80ern massiven Krisenschüben unterworfen gewesen.
8Karl Marx, MEW 12, S. 336 f.
9http://de.euronews.com/2011/10/28/merkel-ruft-jahre-der-schwaebischen-hausfrau-aus/, Stand: 29.03.2012.
10Robert Kurz: Der Kollaps der Modernisierung, S. 297.
Es bahnt sich bereits an, dass sich das Krisenpotential, das in den Widersprüchen der Kapitalakkumulation seinen Ausgangspunkt nahm, von hier aus sich auf die Finanzmärkte übertrug, um sich dann zu einer Staatsschuldenkrise transformierte, schließlich in einer Krise des Zentralmediums der abstrakten Reichtumsproduktion selbst entladen wird: Im Geld. Das Wettrennen der abstrakten Reichtumsproduktion wird am Ende keinen Sieger kennen.
Vor dem Hintergrund dieser krisentheoretischen Überlegungen, die hier nur grob und deskriptiv umrissen wurden, stellt sich die Dringlichkeit und Ausrichtung einer Emanzipationsperspektive auf ganz spezifische Art. Demnach gilt es, sich von der Herrschaft der abstrakten Reichtumsproduktion mit ihren Grundformen von abstrakter Arbeit und Wert zu emanzipieren. Doch unglücklicherweise sind abstrakte Arbeit und Wert keine Gegenstände irgendwo da draußen, sondern durch uns gesellschaftlich konstituiert. Sie stellen die Art und Weise dar, wie wir uns gesellschaftlich vermitteln. Arbeiten gehen, Geld verdienen, kaufen und verkaufen sind keine bloß äußerlichen Handlungen, sie bestimmen in vielerlei Hinsicht unser Denken und Fühlen; ja, sie sind uns zur zweiten Haut geworden. Robert Kurz formulierte das daraus erwachsende Dilemma einmal so: „Die Passagiere der Titanic wollen an Deck bleiben, und die Kapelle soll weiterspielen.“10 Dieses Phänomen spiegelt sich in dramatischer Weise auch und gerade in den Protestbewegungen wieder, die nur selten mit ihren programmatischen Entwürfen die bürgerlichen Vergesellschaftungsformen in den Fokus bekommen. Solange sich keine emanzipatorische Kraft formiert, die die Abschaffung einer Vergesellschaftung über den Wert theoretisch wie praktisch ernsthaft in den Blick nimmt, muss konstatiert werden, dass wir die Produzenten der Krise, dass wir die Krise sind.
Fußnoten
1http://www.krisis.org/2000/neues-vom-weltuntergang, Stand: 29.03.2012.
2Betrachtet man das marxistische Diskursfeld, so steht Michael Heinrich und andere Vertreter der Neuen Marxlektüre insofern der Wertkritik relativ nahe, als dort die Kategorie des Werts in das Zentrum der Marx-Exegese gerückt wird. Dabei sind jedoch Unterschiede der Wert-Bestimmung zu beachten
3Als ein letztes unrühmliches Beispiel dieser Ohnmacht kann Wolfgang Pohrt, ehemals hoffnungsvolle Theorieepigone der kritischen Theorie, betrachtet werden. Sein neuestes Buch „Kapitalismus forever“ ist eine aggressives Plädoyer für die Anerkennung der Allmacht des Kapitals.
4Die Argumentation ist einigermaßen Komplex und der Teufel steckt wie immer im Detail; um dies zu illustrieren, sei auf die theoretischen Entwürfe von Michael Heinrich und Robert Kurz verwiesen, die beide sich in ihrer Kapitalismuskritik zentral auf die Kategorie des Werts beziehen. Die von ihnen vorgenommenen kategorialen Bestimmungsunterschiede erscheinen von weitem betrachtet marginal, doch sind sie so folgenschwer, dass sich für den Einen einen fundamentale Krisentheorie geradezu verbietet, während sie für den Anderen zwangsläufig ist.
5Diese Intensivierung bzw. Verdichtung der Arbeit hat vielerlei Gesichter und steht im schreienden Kontrast zu Massenarbeitslosigkeit. Ihre schrillste Ausformung ist bekanntlich der Tod durch Arbeit, ein Phänomen, das in Japan so weit verbreitet ist, dass es mit einen eigenen Begriff belegt wurde: Karoshi. Bekannter dürften jedoch hierzulande die Selbstmorde beim iPad-Zulieferer Foxconn oder die Selbstmordserie in der französischen Telekom sein.
6Vor der Krise wären Geldpfuschertheorien, wie die von Silvio Gesell vom akademischen Mainstream als auch von den seriösen bürgerlichen Medien wahrscheinlich noch des Obskurantismus geziehen und links liegen gelassen worden. Im Kontext der Krise und der Erschütterung der neoklassischen Paradigmen sucht das bürgerliche Bewusstsein verzweifelt nach Interpretationsmustern, die über eine Regulation des Geldes den Kapitalismus zu retten gedenken. Die Palette reicht dabei vom Vollgeld-Entwürfen bis zum Klassiker der Zinskritik. Ein Beispiel für die Renaissance des ökonomischen Obskurantismus im bürgerlichen Bewusstsein ist das Interview mit dem Wirtschaftswissenschaftler Werner Onken in der Zeit „Geld muss rosten!“, http://www.zeit.de/2012/12/Interview-Onken, Stand: 20.03.2012.
7Hätte es diese Möglichkeit nicht gegeben, wäre der Kapitalismus mit Sicherheit bereits in den 80ern massiven Krisenschüben unterworfen gewesen.
8Karl Marx, MEW 12, S. 336 f.
9http://de.euronews.com/2011/10/28/merkel-ruft-jahre-der-schwaebischen-hausfrau-aus/, Stand: 29.03.2012.
10Robert Kurz: Der Kollaps der Modernisierung, S. 297.